Operativer Vorgang „Radfahrer“ (13.01.2014)
Minutiöse Stasi-Protokolle untermalen die Momentaufnahmen von großer Beobachtungsgabe, denen die Stasi vorwarf, sie würden „vordergründig Skepsis zu auf dem in den Fotos dargestellten Leben in der DDR“ zeigen. Der Fotograf Harald Hausmann erzählt frei, ehrlich und locker über das, was ihm in der DDR als Künstler wiederfahren ist.
Die Filmvorstellung und das Gespräch der Oberstufenschüler mit dem Fotografen offenbarten Eindrücke in das Leben in der DDR, die echt wirkten und viele nachdrücklich beeindruckt haben. Insbesondere der Künstler selbst kam sehr gut an, der in seiner Offenheit deutlich spürbar machte, was Leben – auch unter widrigen Umständen – heißt.
„Humanistische Grundsätze“ habe man ihm vorgeworfen, die Einstellung, dass ein Staat sich nichts leisten dürfe, was gegen Menschenwürde verstößt. Zudem hatte er ohne staatliche Genehmigung im Westen veröffentlicht und den Versuch unternommen, so die Stasi, „Menschenrechtsverletzungen“ nachzuweisen. Eine seiner Ausstellungen mit dem Namen „Die andere Seite einer Stadt“ wurde als „tendenziös“, „entstellend“ beschrieben, habe bewusst ein „trübes Milieu“ gezeigt und „angebliche Widersprüche konstruiert“. In den Augen der Stasi haben Hauswalds Bilder diesen Effekt erzielt, wie die Kommentare verdeutlichen, auch wenn sie Realität abbildeten. Dieser Effekt sei, so die Mitarbeiter der Staatssicherheit, durch die Verwendung von Schwarzweißbildern noch verstärkt worden. „Grau war unser Alltag, dass der Westen bunt war, wussten wir nicht“ kommentiert Hausmann diese Einschätzung rückblickend. Die eigentlichen Gründe für die Verwendung von Schwarzweißfotografie, nämlich dass das Farbfilmmaterial der DDR „Scheiße“ gewesen sei (Hauswald) und dass Sozialfotographie Spielraum geben sollte, ein Bild zu Ende zu denken, berücksichtigte die Stasi in ihrer Beurteilung nicht. Seine Fotografie wurde als tendenziös eingestuft. Dabei, stellt Hauswald fest, hätten Farbbilder das Grau noch weit stärker transportiert, was deutlich wurde, als die Westzeitschrift GEO ihm Farbfilme aus dem Wesen hatte zukommen lassen. Er lacht, vielleicht ein wenig bitter, wie so oft bei dieser Veranstaltung. Über die Stasi, über das Leben.
Auf die Frage, wie die Bevölkerung auf seine Fotografie reagiert habe, zeichnet Hauswald ein positives Bild. Man sei ihm immer offen begegnet, ohne Skepsis. „Die Regierung war Scheiße, aber die Menschen waren gut!“
Bespitzelung war jedoch allgegenwärtig: Hausdurchsuchungen mit Konfiszierungen, Überwachung, eine Postkarte nach Sydney an einen Freund, die dieser zwar erhielt, auf der aber der Text mit Ausnahme der Anrede von der Zensur geschwärzt worden war. Hauswald meint, die „Stasi-Typen“, die er als „Fußvolk“ und „Dödels“ abtut, fast immer bemerkt zu haben. Als Stipendiat in Folge der „inneren Öffnung“ nach der Sputnik Affäre und durch seine recht große Bekanntheit im Westen geschützt, habe er aber keine schlimmeren Repressalien ertragen müssen. Berlin als Lebensmittelpunkt ermöglichte diese Offenheit, denn die Nähe zum Westen habe es erleichtert, dass Material von Westjournalisten ausgeführt und somit eine Öffentlichkeit geschaffen werden konnte.
Doch auch dadurch war Misstrauen Teil des Alltags. Nach der Wende traf er einen Bekannten, einen Punk wieder, der ihn mit den Worten „ Hauswald, du warst sauber, ab jetzt können wir Freunde sein!“ begrüßte. Die Einsicht in seine eigenen Stasi-Akten, 5 Kilo hatten sich über Hauswald angesammelt, hätte ihn selbst zunächst geschockt, doch bald habe er einen „Lachkrampf“ bekommen, als er sich darin als „unintelligenten Mensch“ beschrieben sah, da bei einer Durchsuchung seiner Zweitwohnung keine Bücher, Platten etc. vorgefunden worden waren. Wieder das ironische Lachen, dass die Stasi auch nachträglich noch zu entmachten scheint. Von Vereinnahmung keine Spur.
Doch auch Hauswald konnte sich dem Staat nicht gänzlich entziehen. Die Zeit bei der NVA, eine „traurige Pflichtübung“, hat er über sich ergehen lassen. An seinem Geburtstag zum Dienst in der Armee angetreten, warte er bis heute auf den Blumenstrauß, den ein Diensthöherer in dem zur Begrüßung ausgestrahlten Propagandafilm den Geburtstagskindern strahlend überreicht habe. Eine „verlorene Scheißzeit“, urteilt er nüchtern.
Die Schüler zeigten großes Interesse am Thema Flucht. Eine eigene Fluchtplanung über Ungarn nach Österreich sei gescheitert, da die Karten von den Grenzgebieten nicht stimmten. Er hatte versucht, in der Dämmerung hinüberzuschleichen, wurde aber auf weiter Flur erwischt. Mit etwas Glück sei es ihm gelungen, sich herauszureden, und der Beamte habe ihm lediglich einen Stempel in sein Visum gedrückt. Um ohne Schaden wieder nachhause zurückzukommen, meldete Hauswald sein Visum verloren und reiste unentdeckt in die DDR zurück. Spektakulärer muten die Fluchtversuche von Freunden an, die er beschreibt. Als versteckte Begleiter einer Rockband in den Boxen, bei einem fingierten Umzug, versteckt in einem Kleiderschrank…
Aber darum geht es Hauswald offensichtlich auch gar nicht. Er hat sein Leben in der DDR gelebt, so wie es kam. Er konnte sich als Fotograf entfalten – vielleicht auch, weil grade dieser Staat, insbesondere in Berlin, ihm Material lieferte – und hat als Liebhaber von Rockmusik mit zahlreichen Platten im Regal und in Begleitung bekannter Rockbands – erst als Rocktechniker und später als Fotograf – sowie als Telegrammbote viel gesehen und erlebt. Ein Mann, der Erinnerungen wie die an ein Bruce Springsteen-Konzert bewahrt, bei dem Hunderte DDR-Bürger inbrünstig „Born in the USA“ mitsangen. Widersprüche, da ist es wieder.
Viele Schüler hätten gern noch weitere Fragen gestellt und mehr von diesem Mann gehört, der in seiner Authentizität ein anderes Leben in einem anderen Deutschland erfahrbar machte und sie gleichzeitig bzw. gerade deshalb aufrief, ihr eigenes Leben zu nutzen und hinauszugehen, um etwas zu erleben.
Unser Dank gilt Harald Hauswald und dem Dahlenburger Kunstverein!
Weitere Informationen:
http://www.harald-hauswald.de/deutsch/seiten/index_aktuell.html
Ausstellung:
„Ferner Osten – Fotografien 1976 -1990“
Noch bis Ende Februar 2014 in Dahlenburg im Kunstverein Dahlenburg zu sehen.